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| Wächter des ZwielichtsSergej Lukianenko Heyne Verlag Erscheiungstermin: 10/2006 Übersetzer: Christiane Pöhlmann Rezension ist von 10/2006 Leserschwert-Genre: Mystery
 Und es ward ZwielichtVlad III., besser bekannt unter dem Namen Graf Dracula, hatte schon seine guten Gründe, warum er im rumänischen Transsylvanien aus dem Sarg kroch. Und nicht etwa in Kalifornien oder so. Das hat natürlich mit der vielen Sonne zu tun, die in Gegenden, wo österreichische Barbaren Gouverneure werden, jegliche dramatische Tiefenschärfe wegbrennt. Aber nicht nur. Es geht dabei auch um die atmosphärische Vorstellungskraft, die ein Landstrich wie Transsylvanien im menschlichen Gemüt freisetzt: düster, nebelig, nasskalt, dunkelgrau. Der perfekte Lebensraum für einen Untoten.
Eine ähnlich solid-morbide Grundstimmung bildet auch den reichhaltigen Nährboden, in dem die besondere Faszination von Sergej Lukianenkos „Wächter“-Zyklus verwurzelt ist. Nur, dass der russische Ex-Psychiater seine dickflüssige Düsternis nicht im rumänischen Nirgendwo des 19. Jahrhunderts, sondern mitten im Moskau der Gegenwart heraufbeschwört. Tatsächlich fährt einem diese verwaschene Atmosphäre zwischen Realismus und Mystizismus, diese magische Melancholie bereits auf den ersten Seiten des ersten Teils („Wächter der Nacht“) direkt ins Gebälk. Man kann das feuchte Fell der Werwölfe, die sich in die Dunkelheit ¬ducken, förmlich riechen, und die gierige Atemluft, die leise um die Eckzähne der Vampire säuselt, hören – und zwar bevor sie auftauchen. Kurz: Lukianenko hat keinen Erklärungsbedarf für seine verborgene Parallelwelt, in der ein Jahrtausende alter Kampf zwischen den sogenannten „Anderen“ tobt. Lukianenko hat Russland.
Diese verblüffende Selbstverständlichkeit, mit der hier die absonderlichsten Kreaturen, ohne das übliche Fantasy-Brimborium zu strapazieren, aus dem „Zwielicht“ treten, ist allerdings nicht das einzige, was Lukianenkos Mystery-Zyklus von herkömmlicher Genrekost unterscheidet. Denn wiewohl sich dieses energetisch aufgeladene Zwielicht in hell und dunkel spaltet, hat es mit der intellektuellen Diskonter-Dichotomie zwischen gut und böse nichts am – weißen bzw. schwarzen – Hut. Die überaus charismatischen Magier, Hexen, Vampire, Gestaltenwandler und Werwölfe, die Lukianenko von beiden Seiten der Macht – der „Tagwache“ und der „Nachtwache“ – auf sein magisches Schachbrett treibt, agieren fernab von moralischen Schmonzetten in einem freien Spiel der übersinnlichen Kräfte. Strategie und Intrige, Täuschen und Tarnen, Töten und Opfern dienen aber nicht dazu, die jeweilige Gegenseite zu vernichten, sondern um das empfindliche Gleichgewicht der Kräfte aufrecht zu erhalten. Das gibt der Story einen erstaunlichen emotionalen Spin. Der Leser kann seine Sympathien aus dem Bauch heraus frei verteilen und jederzeit mit fliehender Standarte ins andere Lager überwechseln. Außerdem entwickeln dadurch sogar jene Momente, in denen Lukianenko die Action-Sau von der Leine lässt, eine Art poetische Eigendynamik. Wenn etwa ein vom Blutrausch aufgegeilter Jungvampir eiskalt von einem undurchsichtigen Großmagier in der Luft zerrissen oder ein Werwolf via Magnum-Wumme auf dem Silberkugeltablett abserviert wird – die martialische Action fügt sich bei Lukianenko fugenlos in einen literarischen Balanceakt.
Womit wir bei einem weiteren Punkt wären, in dem die „Wächter“ das Genre-Korsett nach allen Regeln der Kunst sprengen: Lukianenkos Sprachstil. Den hat der britische „New Statesman“ einmal als „eine atemberaubende Mischung aus Dostojewski und Dawn of the Dead“ umrissen. Und damit einen definitorischen Volltreffer gelandet. Denn die unverwechselbare russische Erzählkunst, die ihre seltsame Schönheit vorzugsweise in scheinbar nebensächlichen Passagen offenbart, blitzt auch im Zwielicht immer wieder auf. Lukianenko bändigt seinen eigenwilligen Mix aus Horror und Fantasy über weite Strecken in geradezu kontemplativen Sprachstrukturen; was eigentlich – der klassischen Formel „Fisch+Fleisch=Nix“ gehorchend – den kommerziellen Selbstmord bedeuten müsste. Weil: Für echte Hardcore-Horroristen ist die Blutsuppe zu dünn, der Fantasy-Freakfraktion bleiben die Realo-Gräten im Hals stecken und Leser, die sich selbst als „literarisch interessiert“ bezeichnen, sind bekanntlich bereits bei der bloßen Erwähnung des Wortes „Mystery“ am nächstbesten Baum. Vom Reißbrett aus betrachtet müsste der „Wächter“-Zyklus also einen veritablen Staubfänger abgeben.
Doch siehe da, das exakte Gegenteil ist der Fall. Die „Anderen“ sind Kult und nicht nur in Russland ein Millionenseller. Ganz nebenbei lieferte Teil 1 die Vorlage für den erfolgreichsten russischen Film aller Zeiten. Und da man einen rollenden Rubel bekanntlich nicht aufhalten soll, entschloss sich Sergej Lukianenko die ursprünglich als Trilogie konzipierte Story, die mit dem eben erschienenen dritten Teil „Wächter des Zwielichts“ enden sollte, periodisch zu erweitern. Bereits Ende diesen Jahres werden die „Wächter der Ewigkeit“ im russischen Original ihren Dienst an den Bestsellerlisten antreten.
Einziger Wodkatropfen: Wer in Lukianenkos faszinierende Welt der „Anderen“ kippen will, sollte tunlichst dort kippen, wo sie sich auftut. Am Anfang.
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