
Grün ist die Hoffnung / Tom Coraghessan Boyle Boyle ... und schwarz der Humor. Kultautor Tom Coraghessan Boyle schickt drei herzergreifend schräge ...

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| Talk TalkTom Coraghessan Boyle Hanser Verlag Erscheiungstermin: 08/2006 Übersetzer: Dirk van Gunsteren Rezension ist von 07/2006 Leserschwert-Genre: Genre auswählen
 Taubenbeschiss„Romane sind wie Rockkonzerte: Entweder, du bringst die Leute zum Tanzen, oder sie feuern dir Bierdosen an den Kopf.“
Tom Coraghessan Boyle ist ein Kultautor. Damit sollte eigentlich schon fast alles gesagt sein, ist es aber nicht. Denn der Titel „Kultautor“ ist in der medialen Gier nach griffigen Bezeichnungen leider zur Worthülse verkommen, die ihr inflationäres Unwesen mittlerweile in zwei von drei Klappentexten treibt. Allerdings drängt sich durch dieses begriffliche Urassen eine gar nicht so blöde Frage auf: Was genau macht eigentlich einen Autor zum „Kultautor“? Die Verehrung durch die Fans? Der anhaltende Erfolg? Seine Unberechenbarkeit? Gibt man das Stichwort etwa bei wikipedia ein, spuckt die Web-Enzyklopädie als ersten Eintrag (Relevanz 9,1%) einen gewissen Thomas Greiner aus. Nicht gerade die erhoffte fette Beute, doch wenn man einen Blick in betreffenden Eintrag wirft, findet sich der erhellende Satz: „Zur Zeit dreht Thomas Greiner [...] einen Dokumentarfilm über den amerikanischen Kultautor T.C. Boyle.“ Na großartig. Also zurück zum Start.
Tom Coraghessan Boyle ist ein Kultautor, weil er seit über 20 Jahren Bücher abliefert, die keinen Vergleich dulden. Weil er zu jener erlesenen Handvoll Schriftstellern gehört, für die dieser Titel überhaupt erst erfunden wurde. Bereits sein erster Roman „Wassermusik“ (1982), den viele Boylianer bis dato für seinen besten halten, zeigt das literarische Ausnahmetalent des Amerikaners, der seinen exotischen Mittelname von einem gälischen Vorfahren entliehen hat. Boyle, der nach einer kurzen, aber intensiven Phase an der Heroin-Nadel während der Blütezeit der Hippie-Ära zum Schreiben fand („Ich habe eine Sucht durch die andere ersetzt.“), begibt sich in dieser 700 Seiten-Schwarte auf den historischen Spuren des schottischen Entdeckers Mungo Park auf eine Afrika-Expedition, pökelt diese auf kongeniale Weise mit dem lausigen Leben des Londoner Gauners Ned Rise und lässt die beiden bei gleichbleibend hoher erzählerischer Hitze im Saft ihres Schicksals schmoren. Das Buch ist ein Geniestreich, und beinhaltet bereits all die erlesenen Ingredienzen, die Boyles nachfolgende Romane – „Grün ist die Hoffnung“, „World’s End“, „Der Samurai von Savannah“ – so unwiderstehlich machen: einen verwegenen Plot, der schamlos mit dem Absurden kokettiert, eine dickflüssige, lustvolle Sprache, die ihre Metaphern wie reife Früchte aus der Phantasie pflückt, den haarsträubenden Humor, der die volle Klaviatur zwischen blankem Zynismus und subtiler Ironie bespielt, und die geradezu manische Leidenschaft für tragische Helden, die das Schicksal nach allen Regeln der Kunst abwatscht.
Eine kleine Zäsur in Boyles mehrfach ausgezeichneter Bibliografie, zu der auch brillante Shortstorys zählen („Greasy Lake“, „Wenn der Fluß voll Whisky wär“, „Fleischeslust“, „Schluss mit cool“), bildet der 1993 erschienene Roman „Willkommen in Wellville“, in der er sich den Gesundheitsfanatiker und Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellog zur Brust nimmt. Mit diesem Buch läutet T.C. eine Phase ein („America“, „Riven Rock“, „Ein Freund der Erde“), in der er seine Plots thematisch stärker gewichtet, sozialpolitische Botschaften in den Vordergrund stellt und mit leicht erhobenem Zeigefinger agiert. Doch mit dem unfassbar komischen „Drop City“ (2003), in dem er eine abgefreakte Hippie-Kommune von Kalifornien in die erbarmungsloseste Ecke Alaskas auswandern lässt, kehrt Boyle mit voller sprachlicher Wucht zu seinen alten Stärken zurück. Einen neuerlichen stilistischen U-Turn vollführt Boyle dann letztes Jahr. Die ,Erinnerungen’ eines fiktiven Kommilitonen des berühmten US-Sexualrevoluzzers Alfred C. Kinsey – auf deutsch unter dem etwas verklemmten Titel „Dr. Sex“ erschienen – zeigen den Meister des schwarzen Humors als feinsinnigen Übersetzer eines Zeitgefühls, der das vermeintlich glitschige Thema mit literarischer Bravour ins Trockene bringt.
Im August kommt nun der elfte Roman von T.C. Boyle: „Talk Talk“. Und mit ihm eine weitere Nuancierung des Meisters: Denn die Story, in der eine junge gehörlose Frau von einem Tag auf den anderen ihrer Identität, und damit ihrer gesamten Existenz beraubt wird, verbindet nicht nur Boyles perfides Gespür für gesellschaftliche Außenseiterrollen mit aktueller Brisanz, sondern versetzt zudem seinen einzigartigen Schreibstil mit Spannungselementen aus dem Thrillerfach. Ein weiterer Kultroman? Pah, wen interessiert’s … Ein echter T.C., nur das zählt.
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